Symposium

Gedenkort auf Zeit
Formen des Erinnerns in der Kunst

8. Oktober 2016

Anke Binnewerg
Dieter Daniels
Sophie Goltz
Anke Hannemann
Horst Hoheisel
Andreas Knitz
Sonya Schönberger
Cornelia Siebeck
Simon Wachsmuth

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Perspektiven auf den Ausstellungsraum

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Symposium
Vortrag über das Projekt Kaufhaus Joske

Der Ausstellungsraum ist in seiner Grundbedeutung die architektonische Rahmung für die Präsentation von (zeitgenössischer) Kunst. In der institutionalisierten Kunstszene existiert er zumeist als für die Kunstpräsentation entworfene Architektur. In der freien Szene entsteht er oft durch die Umwidmung eines anders genutzten Raumes. – In allen Fällen beeinflusst der Raum durch seine räumlichen Konstellationen und seine strukturellen Bedingungen die Wahrnehmung präsentierter Arbeiten. Wie reflektieren KünstlerInnen die Bedingungen und Möglichkeiten von räumlicher Begrenzung und Freiheit? Wie hinterfragen, ergänzen, transformieren sie den Ausstellungsraum oder brechen ihn gar auf? Wie reagieren kuratorische Konzepte auf das Wechselverhältnis von Präsentationsweise und Wirkweise?

Das Symposium Perspektiven auf den Ausstellungsraum ist der Annäherung an den Raum aus künstlerischer und kuratorischer Sicht gewidmet.

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Bertram Haude

Der Kritiker ist Teil seiner Kritik und der »Flaneur ist kein Käufer, er ist (selbst) Ware«. 
(aus Walter Benjamin, Passagen-Werk)

Der (fast) unsichtbare Ort des Kaufhauses, dessen Geschichte den Ausgangspunkt für die im Projekt Kaufhaus Joske stattfindenden Diskurse bildet, ist Grundlage für Bertram Haudes Performance. Hierbei ist Bertram Haude in seinen Überlegungen in einen Konflikt geraten: Das ehemalige Kaufhaus, das als erstes Kaufhaus in Leipzig-Plagwitz zur beginnenden Warenhauskultur gezählt werden kann, könnte Ausgangspunkt sein für kapitalismuskritische Fragen, die zu Bertram Haudes künstlerischer Praxis gehören. Die spezifische Geschichte aber, die sich auf das Kaufhaus gelegt hat, die Vertreibung und Ermordung seiner Besitzer, bricht jene Sicht und führt in einen anderen Betrachtungszusammenhang. Bertram Haude stellt sich daher die Frage: „Können wir in einem unsichtbaren Kaufhaus einen Raum finden, der uns den nötigen Abstand für differenzierte Kritik verschafft?“

Bertram Haude (*1971) hat an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig in der Klasse für freie Kunst bei Astrid Klein studiert. Seine Arbeiten weisen eine Vielfalt unterschiedlicher Medien auf, die ihren Zusammenhang in einer stark gesellschaftspolitischen Haltung finden. Bertram Haudes Arbeit wurde bisher durch zahlreiche Stipendien gewürdigt, u. a. führte ihn 2009 eine DAAD-Förderung für ein Jahr nach Israel.

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(Fotos: Frank Höhle)

The critic is part of her critique and »the flâneur is not a consumer, he is (himself) a commodity«
(from Walter Benjamin, Arcades Project)

Projekt Kaufhaus Joske takes the point of departure for the discussions it hosts from the history of the former department store that bore its name. This (almost) invisible history provides the foundation for Bertram Haude’s performance. The department store was the first of its kind in Leipzig-Plagwitz and is thus a symbol of early consumer culture. As such it suggests an angle for the critical interrogation of capitalism that is part of Haude’s artistic practice. However, the specifics of the house’s history, the deportation and murder of its owners, disrupts this line of attack while at the same time providing a new perspective. Haude poses the question: »Can we find a space within an invisible department store that provides the necessary distance for considered critique?«

Bertram Haude (*1971) studied fine art at the Academy of Visual Arts in Leipzig with Astrid Klein. Although his works employ a variety of media they are bound together by a strongly socio-political approach. His work has received recognition in the form of numerous stipends. In 2009 he travelled to Israel for a year with a DAAD fellowship.

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(Foto: Frank Höhle)

Laszlo Kornitzer und László Földényi (Foto: Carsten Humme)

Laszlo Kornitzer und László Földényi

Über Imre Kertész

„Das Konzentrationslager ist ausschließlich in Form von Literatur vorstellbar, als Realität nicht. (Auch nicht – und sogar dann am wenigsten –, wenn wir es erleben.)“
Imre Kertész: Galeerentagebuch

Das Werk des ungarischen Schriftstellers Imre Kertész handelt von der schonungslosen Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz, vor dem Hintergrund der Erfahrung von Auschwitz und der darauf folgenden kommunistischen Diktatur in Ungarn. Dies sind verlässliche Schauplätze in Kertesz‘ Romanen, auf denen sich im Blick auf das geschädigte Individuum eine zutiefst humanistische Haltung entfaltet.
Innerhalb der literarischen Form findet Kertész einen Weg, mit dieser Vergangenheit und (dem drohenden Verlust) der eigenen Erinnerung umzugehen. Dabei stellt er immer wieder die Frage, welche Gegenwart nach Auschwitz noch möglich sei.
Laszlo Kornitzer und László Földényi werden in Form des erzählenden Vortrags, der Lesung und des Gesprächs die Haltung Kertesz‘ diskutieren.

Laszlo Kornitzer, geboren in Budapest, Regisseur und Übersetzer (u. a. von Imre Kertész), lebt in Berlin.
László Földényi ist ungarischer Essayist und Kulturtheoretiker und unterrichtet an der Akademie für Theater und Film in Budapest Kunsttheorie. Neben zahlreichen Veröffentlichungen (z. B. „Melancholie“, 1988) und Übersetzungen erschien 2009 von ihm „Schicksallosigkeit: Ein Imre-Kertész-Wörterbuch“.

Laszlo Kornitzer / László Földényi (Foto: Carsten Humme)

Laszlo Kornitzer / László Földényi (Fotos: Carsten Humme)

„The concentration camp can only be imagined in the form of literature, and not as reality.
(Not even, indeed least of all, when we have experienced it ourselves.)“
Imre Kertész: Galley Boat-Log

The work of the Hungarian writer Imre Kertész is an unsparing confrontation with the author´s own past in the context of Auschwitz and the subsequent communist dictatorship in Hungary. These locations offer a recurring background in Kertész’ novels for the development of a profoundly humanistic ethos that takes its point of departure from the damaged individual.
Within the literary form, Kertèsz finds a way of dealing with this past, with its memories and also the threat of losing them. In the process, he constantly poses the question: what kind of present remains possible after Auschwitz?
Laszlo Kornitzer and László Földényi will treat Kertesz‘ approach in the form of an anecdotal lecture, involving readings from the works and discussion with the public.

Laszlo Kornitzer, born in Budapest, is a film maker and translator (of Imre Kertész among others). He lives in Berlin.

László Földényi is a Hungarian essayist und cultural theorist and lectures art theory at the Academy of Theatre and Film in Budapest. His numerous publications (e.g. „Melancholie“, 1988) and translations include his „Schicksallosigkeit: Ein Imre-Kertész-Wörterbuch“ from 2009.

Maison de Valeur (Foto: Carsten Humme)

Maison de Valeur

WALK #1

Walk #1 ist eine Performance, die für das Projekt Kaufhaus Joske produziert wird. Sie knüpft an die ursprüngliche Funktion des Kaufhauses in Leipzig-Plagwitz an: Den Kunden, die hauptsächlich dem Arbeitermilieu entstammten, wurden die Waren des täglichen Bedarfs angeboten. Walk #1 wirft in Form einer Modenschau einen skeptisch-melancholischen Blick auf eine Zeit, in der die Identifikation mit dem Beruf noch nicht dem Imperativ der individualistischen Selbstverwirklichung folgte. Sie ist der Versuch, mehreren Verwirrungen zu begegnen: Was ist Kleidung im System Mode? Ist die liaison dangereuse von Waren- und Kulturproduktion nicht mehr aufkündbar? Sind Performance und Pop-Art desselben Geistes Kind?
MAISON DE VALEUR sind KünstlerInnen aus Leipzig.

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(Fotos: Carsten Humme)

WALK #1

Walk #1 is a performance produced specifically for Projekt Kaufhaus Joske and references the original function of the Joske department store situated in Leipzig-Plagwitz. The store offered its mostly working class customers the commodities of everyday necessity. Using the format of a fashion show, Walk #1 casts a melancholic glance at a time in which workers still identified with their professions without following the imperative of self-fulfilment. The piece is an attempt to deal with several sources of confusion: What is the role of clothing in the system of fashion? Is the dangerous liaison between commodities and culture no longer revocable? Are performance and pop art born of the same spirit?
MAISON DE VALEUR is a group of Leipzig artists.

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(Foto: Carsten Humme)

Nils Pollenhauer (Foto: Carsten Humme)

Nils Mollenhauer

Das Unbehagen im Archivarischen

Nils Mollenhauer wird in seinem Vortrag Das Unbehagen im Archivarischen das fotografische Werk Günther Förgs als eine Praxis darstellen, in der es vielmehr um den Prozess des Bilder-Machens geht als um ein fertiges Bild. Anhand der BAUHAUS TEL AVIV JERUSALEM PHOTOGRAPHIEN wird Günther Förg als Photographie-Performer beschrieben, der mit einem subjektiven Zugriff auf die (Architektur-)Geschichte dem Unbehagen begegnet, das in einer statischen Erinnerungskultur und einem archivarisch disziplinierten Gedenken lauert.

Tris Vonna-Michell: Leipzig Calender Works (Foto: Carsten Humme)

Tris Vonna-Michell

Leipzig Calendar Works

In den Sprechperformances von Tris Vonna-Michell strömen in rasendem Tempo Worte und Sätze aus ihm heraus, gelegentlich ist eine Jahreszahl oder ein Straßenname aus dem Fluss der Worte zu vernehmen. Es sind Ergebnisse, Zwischenstände, wahrnehmbar sind Fragmente seiner Recherchen an bestimmten Orten, nach deren Vergangenheiten und spezifischen Geschichten. Die Problematik, als Nachgeborener begreifen zu wollen und dann feststellen zu müssen, eben nicht die einzig gültige Geschichte erzählen zu können, fließt direkt in Vonna-Michells Arbeit ein. Seine Form der mündlichen Erzählung lässt auf eindrucksvolle Art und Weise ein Neben- und Miteinander verschiedener Zeiten und Perspektiven in der Kombination privater und politischer Geschichte, Fakten und Fiktionen zu. Tris Vonna-Michells Arbeiten sind stets unabgeschlossene Projekte: einzelne Details verändern sich je nach dem Ort und der Zeit ihrer Aufführung und befinden sich dadurch in einer permanenten Wandlung. Die Arbeit „Leipzig Calendar Works“ begann mit einem Aufenthalt (und den Recherchen) Vonna-Michells in Leipzig im Jahr 2005 und wird nun mit seiner Rückkehr ihre Weiterführung finden.

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(Fotos: Carsten Humme)

In Tris Vonna-Michell’s performances, a profusion of words and sentences flows from his mouth at breakneck speed. A year or a street name is occasionally loosens itself from the stream and becomes audible. What we hear are interim results, fragments of an investigation of specific places, of their histories and their particular stories. Vonna-Michell’s work is about the problem of wanting to understand the past that has begotten us yet not being able to tell the one valid story of this past. His form of oral narration involves a unique assimilation of diverse points in time and perspectives in the combination of private and political history, fact and fiction. Tris Vonna-Michell’s pieces are a priori unfinished works. Individual details vary according to the place and time of the performance and are as such in permanent flux. The project „Leipzig Calendar Works“ began with a sojourn and accompanying research in Leipzig in 2005 and will now be continued upon his return.

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Jörg Herold

Eine Hochdruckreinigung der Hausfassade als „private“ Erinnerungsarbeit am ehemaligen Kaufhaus Joske. Freilage der Zeitschichten auf 202 cm Höhe über Normalnull.

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Tobias Ebbrecht

Hinter den Bildern, Annäherung an die Vergangenheit als Filmessay

Nach Haroun Farockis Aufschub spricht Tobias Ebbrecht (Filmwissenschaftler, HFF Konrad Wolf, Potsdam).
Die Geschichte über die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden ist längst in einer unüberschaubaren Bildersammlung aufgegangen. Hinter den zu reinem Material geronnenen Archivbildern, Rekonstruktionen und Zeugenaussagen verschwinden die Zugänge zu einer Vergangenheit, die die heute Lebenden noch immer herausfordert, mit der Erkenntnis des Bruchs, des Nichtverstehenkönnens konfrontiert und noch das heutige Leben zeichnet. Am Beispiel des Filmemachers Harun Farocki und Romauld Karmakar geht der Vortrag filmischen Versuchen der Befragung von Bildern nach. Der Filmessay überschreitet die Formen (Dokumentarfilm / Spielfilm) ebenso wie die historisierende Perspektive der Geschichtswissenschaft. Hinter den bekannten Bildern werden Formationen sichtbar, die durch die Montage, die konstellative Zusammenstellung oder die subjektive Interpretation Vergangenes aus der Perspektive der Gegenwart befragen.