Geschichte, Streifen, Poster, Fläche

Kleine Zeichen und verhangene Reste von Schriftzügen an den Wänden eines der Treppenhäuserbildeten den Beginn für eine umfangreiche Recherche der vier Autoren über das Kaufhaus,die zu unterschiedlichen künstlerischen Umgangsweisen führte. Das Studieren der Akten im Bauarchiv, die Freilegung der Schriftzüge, die Installation architektonischer Fragmente und vor allem eine auf Veränderung zielende Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur sind Teile des gesamten Projektes geworden, das sich weiterhin fortsetzen wird.

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Die Gebäude des ehemaligen jüdischen Kaufhaus Joske erstreckten sich von der Karl-Heine-Str. 43 bis zur Walther-Heinze-Str. 3 in Leipzig-Plagwitz. Diese beiden Hausnummern waren über einen gemeinsamen Hof verbunden. Die Verkaufsfläche befand sich ausschließlich im ebenerdigen Bereich, im Erdgeschoss der heute noch existierenden (Wohn-) Häuser und in zwei miteinander verbundenen Hallen, die eine im Jahr 1912, die andere 1929 erbaut.

Die Geschichte

Im Westen Leipzigs lassen sich an Architektur und Stadtplanung die historischen Entwicklungen dieses Stadtteils gut nachvollziehen – sie erzählen über das Zeitalter der Industrialisierung, die Verstädterung, und letztendlich über den Untergang dieser Epoche. Teilweise sanierte Industriebauten tragen die signifikante Backsteinarchitektur und Schornsteine. Sie zeigen schon von weitem den Charakter dieses Stadtteils, der durchaus ein besonderer war: Hier existierten in einem direkten Nebeneinander Fabrik, Arbeiterwohnhaus und Unternehmervilla. Ebensowenig, wie ein solcher Stadtteil – der einst gezielt leergewohnt wurde – von heute auf morgen revitalisiert werden kann, sind seine historischen Verweise trotz Abrisswut und Billigsanierung zu vernichten. Diese Verweise sind weniger diejenigen, für die Kränze niedergelegt oder Denkmäler errichtet werden. Es sind kleine Zeichen, denen nachgegangen werden kann, will man mehr über die jeweiligen Geschichten erfahren.
Das einstige Aussehen der Häuserzeile Karl-Heine-Str. 43-45 und um die Ecke in der Walther-Heinze-Str. 3, teilweise saniert, teilweise (so möchte man meinen) seit dem Kriegsende unangerührt, lässt kaum nachvollziehen, dass dieser Häuserblock einst ein geschlossenes und blühendes Unternehmen beherbergte: Das erste Kaufhaus von Plagwitz. Die jüdische Kaufmannsfamilie Joske, die Ende des 19. Jahrhunderts aus Ostbrandenburg nach Sachsen kam, ließ sich hier 1904 mit einer Dependance zu ihrem Hauptgeschäft in der Windmühlenstraße nieder.

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Die letzte umfangreiche architektonische Umgestaltung – und für dieses Projekt relevante– wurde in den Zwanziger Jahren unternommen. Hierfür wurde der Architekt Wilhelm Haller engagiert, der bereits zahlreiche Bauten in Leipzig und Umgebung verwirklicht hatte, darunter hauptsächlich religiöse Bauten, aber auch Wohn- und Geschäftshäuser. In den Zwanziger Jahren sind bei ihm zunehmend Einflüsse des sachlichen Bauens spürbar. Bekannt geworden sind vor allem seine späteren im Bauhausstil entstandenen Wohnhaussiedlungen in Tel Aviv. Wilhelm Haller wurde nun beauftragt, anstelle der „schrecklichen Ornamentik an den Pfeilern und darüber“ (aus einem Brief der Firma M. Joske & Co. von 1927, entnommen der Bauakte, Bauordnungsamt Leipzig) eine klare und geschlossene Fassade zu gestalten. Dies erreichte er vor allem mit einer oberhalb der Schaufenster installierten gestreiften Bordüre, die sich um den gesamten Block zog. Hallers auch von Fachzeitschriften gewürdigter Umbau wurde 1929 eingeweiht und sollte als Kaufhaus keine lange Überlebensdauer haben. In den Dreißiger Jahren erging es Joskes wie allen jüdischen Geschäftshäusern: Ihnen wurde systematisch die Arbeit unmöglich gemacht. Gezwungenermaßen und in den Bankrott getrieben mussten sie 1934 ihr Kaufhaus in Plagwitz auflösen. Die Gebäude wurden 1939 zwangsversteigert. Ein Teil der Familie konnte nach Frankreich und Palästina emigrieren, der größere Teil und vor allem die Frauen der Familie wurden in den Osten deportiert und ermordet.

Die Streifen

Ein signifikantes Detail der Umbauten von Wilhelm Haller 1929 zeigte sich in einer Streifenbordüre oberhalb der Schaufenster. Dieses nicht mehr erhaltene Detail zog sich um den gesamten Gebäudekomplex und erzeugte eine Geschlossenheit der stilistisch sehr verschiedenen Häuser. Ausgehend von einer Schwarzweißfotografie, die jene Streifen in grau-weiß zeigt, ist dieses Detail fragmentarisch aufgegriffen und an dem flachen Gebäude in der Walther-Heinze-Str. 3 und an der Fassade Karl-Heine-Str. 43 installiert und markiert an diesen Stellen den Anfang und das Ende des Geländes. Ein dritter Streifen zieht sich in den Hof der Karl-Heine-Str. 43, um die Orte miteinander zu verbinden.

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(Foto: Carsten Humme)

Für die Streifen wurde der alte Putz abgeschlagen und leicht versenkt neuer Putz aufgetragen, der einen anthrazitfarbenen Anstrich erhielt. Die Kombination des Anthrazit und Lichtgrau verweist auf die Quelle – die Fotografie –, zeigt in ihrem Kontrast den Eingriff und stellt sich gegen eine detailgetreue Rekonstruktionswut. Die Versenkung in den alten Putz deutet ein archäologisches Freilegen an. Mit ihrer Schlichtheit und Sachlichkeit heben sie sich von der unruhigen Umgebung ab und verweisen auf ihre ursprüngliche Entstehungszeit und die Ideen des Bauhaus’, der Moderne und ihren Utopien.

Poster

Die Installation der Streifen und die Gestaltung des Innenhofes in der Karl-Heine-Str. 43 werden von einer Plakatserie begleitet. Sie sind an die Tore der Häuser geklebt und werden in regelmäßigen Abständen erneuert. Auf den Plakaten zeigen sich historische Fotografien ebenso wie Textauszüge und Grundrisse aus Dokumenten der Bauakte, die sich auf die Vergangenheit des Hauses beziehen.
Die Plakate bedeuten eine inhaltliche Erweiterung zur Fassadeninstallation und konstruieren die Form einer lebendigen Erinnerungskultur. Durch die ständige Erneuerung, auch in Form neu entstehender Plakatmotive, gibt es die Möglichkeit, Inhalte zu ändern wie auch spontan auf bestimmte Daten oder Ereignisse zu reagieren. Zusätzlich fordern sich die Autoren des Projektes selbst: Anstelle die fertiggestellte Arbeit sich selbst zu überlassen und zum Nächsten zu gehen, findet immer wieder eine inhaltliche Auseinandersetzung statt, werden immer mehr Schichten an die Tore aufgetragen.

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Die objekthafte Präsenz der Plakatstapel und die hohe Stückzahl weisen auf das ständige Erneuern an der Fassade hin. Jedes Plakat ist in einer hohen Auflage gedruckt, um ein ,Ende‘ der Aktion weder festzulegen noch vorstellbar zu machen.

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Foto: Carsten Humme

 Die Fläche

Im Innenhof der Karl-Heine-Str. 43 ist neben den Streifen ein kleiner Garten und eine Holzflächeangelegt, die in den alten Backsteinboden eingelassen wurde. Der Hof wird für Gästedes «Kaufhaus Joske» als ein Ort der Kommunikation geöffnet, und die Fläche bietet Platz für thematische Veranstaltungen (Lesungen, Konzerte, Filmvorführungen und temporäre Skulpturen). Es werden in verschiedenen Medien arbeitende Künstler eingeladen, um auf diesen Ort im Bewusstsein seiner Vergangenheit zu reagieren.

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